Handgranaten sind Sprenggeschosse; sie bestehen aus dem Mantel, der Sprengladung und dem Zünder. Je nach der gewünschten Wirkung unterscheidet man in der Hauptsache Splitter-, Brand- und Nebelhandgranaten. Die meist einheitlichen Zünder sind als „m.V.” (mit Verzögerung wirkend) oder „o.V.” (ohne Verzögerung wirkend) ausgebildet.1)
Irdene Gefäße, die als Granaten gedeutet werden, sind vor allem aus dem Orient seit dem 13. Jahrhundert nachgewiesen.2) Originale aus Mitteleuropa, teilweise sogar mit erhaltener Füllung, gibt es aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Historische Feuerwerkbücher, darunter Martin Merz, erwähnen diese Art Granaten aber bereits im 15. Jahrhundert.3) Neben Granaten aus dickwandigem Ton gab es auch solche, deren Körper aus Holz, Metall oder Glas bestanden. Sie waren mit Schwarzpulver gefüllt. Bei der Detonation entfalteten die geborstenen Gefäßteile ihre schädigende Wirkung auf Menschen, Tiere und Gegenstände. Diese Wirkung konnte durch eine Beimengung zur Pulverladung mit Schrapnellen wie Eisenteilen, Nägeln oder Flintstücken noch vergrößert werden. Die Granaten wurden mit einer Lunte angezündet, kleinere Handgranaten wurden von Hand und größere mit Schleudergeräten, wie Hebelöffeln oder Katapulten, auf den Gegner geworfen, wo sie explodierten. Insbesondere keramische Granaten waren mit historischen Mitteln sehr einfach und günstig herstellbar.4) Lediglich Granaten aus Eisen und Glas waren in der Herstellung aufwändiger. Erhaltene Originale keramischer Handgranaten sind beispielsweise aus Ingolstadt, der Burg Pappenheim5), der Burg Forchtenstein in Österreich, der Veste Oberhaus in Passau6), der Burg Alt-Ems im Vorarlberg7), oder dem Schweizerischen Basel und Zürich überliefert. Von der württembergischen Landesfestung Hohentwiel sind Handgranaten nicht nur aus schriftlichen Quellen überliefert, dort wurden bei Ausgrabungen Fragmente mehrerer keramnischer Handgranaten gefunden.8)
Der umfangreichste Fundkomplex frühneuzeitlicher Keramik-Handgranaten stammt aus Ingolstadt, wo 1983 beim Bau einer Tiefgarage in einem ehemaligen Stadtgraben mehrere hundert Stücke gefunden wurden. Diese Granaten haben Außendurchmesser zwischen 10 und 19 cm, wobei die Pulverkammern meist etwa ein Drittel des Durchmessers ausmachen. Die Gewichte der Stücke reichen von 1,3 bis 4,7 kg ohne Pulverfüllung. Die Innendurchmesser der sorgfältig gearbeiteent und verstrichenen Mundlöcher reichen von 18 bis ca. 45 mm. Die Oberflächen der Granaten sind bei vielen Stücken sehr sorgfältig ausgearbeitet, bei anderen wiederum nur grob zugerichtet. Die Granatenkörper selbst wurden aus feinem bis grob gemagertem Ton auf der Töpferscheiben geformt und bei relativ hoher Temperatur gebrannt. Einige wenige Granaten haben auf der gesamten Oberfläche eine ausgesprochene Steinzeugglasur, die meisten weisen diese nur partiell auf und ein großer Anteil zeigt gar keine. Eine Reihe von Granaten ist mit eingestempelten Marken versehen, die als Töpfer- oder Werkstattmarken gedeutet werden können. Insgesamt lassen die erhaltenen Stücke jedoch keine besondere Standardisierung in Form, Größe oder Qualität erkennen, so wurden sogar Fehlbrände verwendet, die erheblich deformiert oder beschädigt waren. Selbst innerhalb der einzelnen Töpfermarkengruppen weisen die Stücke eine ungewöhnlich große qualitative Bandbreite auf.9) Mit den Granaten sind etwa 30 Holzzünder in vershiedenen Ausführungen erhalten.10) 20 Jahre vor dem Ingolstädter Fund wurden 1963 in einem verfüllten Graben nahe der Allerheiligen Hofkirchte der Münchner Residenz ebenfalls Tongranaten gefunden.11) Diese Stücke sind identisch mit den Ingolstädter Stücken, sie haben identische Marken und stammen aus den gleichen Werkstätten. Die von Markus Schußmann gefundenen Granatenfragmente von der Burg Pappenheim zeigen deutliche Gemeinsamkeiten in Form, Größe und Machart mit den kleineren Ingolstädter Stücken auf.5)
Ausführliche Beschreibungen zur Herstellung, Vorbereitung von Granaten, Handgranaten und Zündern, sowie deren Einsatz lieferten zahlreiche Autoren wie beispielsweise Reinhard Graf zu Solms (1559/60)12), Wilhelm Steffan Röbel (1619)13), Georg Andreas Böckler (1674)14), Casimir Simienowicz (1676)15), Ernst Braun (1682)16) oder Sebastian Gruber (1697)17).
Aus Hamburg sind uns keine Funde historischer Handgranaten bekannt, diese sind lediglich schriftlich nachweisbar. So fürt ein Inventar aus dem Jahr 1642 mehrere Hundert „Hand=Granaten” in den Ausrüstungen der Hamburger Zeughäuser, Bollwerke und Festungstürme auf, ohne jedoch genauere technische Informationen darüber zu geben.18)
Glashandgranaten
Gegenüber Tongranaten stellen Glashandgranaten eine bedeutende Weiterentwicklung dar. Sie sind mit Durchmessern von 10 bis 12 cm kleiner, handlicher, und ihre Gefäßkörper zerlegen sich in deutlich mehr wirksame Sprengstücke. Dalbei sind die Bruchkanten der Sprengstücke noch viel schärfer als die derkeramischen Granaten und entwickeln eine verheerendere Splitterwirkung. Währen sich keramische Granaten in etwa 50 wirksame Sprengstücke zerlegen, sind es bei Glasgranaten über 700, wie Franz Felberbauer im Experiment eindrucksvoll nachweisen konnte.2)
Rekonstruktionen
Unsere Nachbauten orientieren sich an verschiedenen Originalen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wie den Typen Ingolstadt/München19) sowie den Typen der Feste Oberhaus, Passau6). Als Rohmaterial verwendeten wir Ton und Buchenholz für die Zünder. Als Platzhalter für die Sprengstofffüllung greifen wir auf nicht brennbare Asche zurück. Der Granatenkörper wird aus Ton geformt und hart gebrannt. Das Holzstückchen wird so weit konisch zugerichtet, dass es die Öffnung des Granatkörpers dicht abschließt. In den Holzstopfen wird der Länge nach, bis kurz vor dem schmalen Ende, der Zündkanal gebohrt. Am schmalen Ende werden seitlich drei bis vier kleinere Löcher bis in den Zündkanal gebohrt oder geschnitten. In den Zündkanal wird etwas Pulversubstitut gefüllt. Anschließend wird der Stopfen in die Granate so weit eingebracht, dass er die Öffnung der Granate fest verschließt. Bei einigen erhaltenen Originalen wurden an der Zündröhre Reste einer Leinwandumwicklung nachgewiesen, die die Abdichtung der Öffnung verbessert.
(Die hier gezeigten Rekonstruktionen weichen in einigen Details von den Originalen ab, insbesondere bei der Lunte im Zünder. Neue Fotos originalgetreuerer Rekonstruktionen folgen in Kürze.)
Einzelnachweise
- Waffentechnisches Taschenbuch (1977) S.522
- Felberbauer (2012) S. 183-184
- Mielke (1988)
- Geibig (2012) S. 177-226
- Schußmann (2014)
- Loibl (1998)
- Rhomberg (2010)
- Jenisch (2011)
- Franzkowiak, Wenzel (2016); Franzkowiak, Wenzel (2018)
- Herzig (2021)
- Behrer (2001), S. 333
- Solms (1559/60), 3. Buch Fol. 37v-38r, 8. Buch Fol. 13v-14r, 24. Figur
- Röbel (1619), Kap. 7-9
- Böckler (1674), S,. 784-789
- Simienowicz (1676), S.121-123
- Braun (1682), S. 129-130
- Gruber (1697), S. 542-544
- Neddermeyer (1832): S. 60-62
- Scheuerer, Kurt: Tongranaten aus dem Schlossgraben. Stadtmuseum Ingolstadt (Online)
- Mira Barthelmann: Festungsstadt Ingolstadt. Filmbericht der Rundschau auf BR3 vom 15.03.2017