Wie jede freie Stadt musste auch Hamburg seine Mauern mit einer schlagkräftigen Stadtverteidigung sichern und seine Interessen gegenüber seinen Gegnern durchsetzen. Gerade für die vom freien Handel abhängige Hansestadt war dies in den unruhigen Jahrzehnten um die Wende zum 15. Jahrhundert besonders wichtig. So wurde die Sicherheit der hansischen Handelswege nicht nur von Wegelagerern, Freibeutern, Piraten und Strandräubern bedroht, auch gegnerische Fürsten und Bischöfe hatten es auf die reich beladenen Kaufmannszüge und Handelsschiffe mit deren Besatzungen abgesehen. Ohne Rücksicht auf geltendes Recht kaperten sie Schiffe, raubten deren Ladung und nahmen Besatzungsmitglieder, vornehmlich wohlhabende Passagiere oder mitreisende Kaufleute als Geiseln, um sie gegen hohe Lösegeldzahlungen freizupressen.1) Insbesondere der Bremer Erzbischof Albert (Albrecht) II. brach weltliches und ein seit über 200 Jahren geltendes kirchliches Recht, durch die von ihm geduldeten Kaperungen Hamburgischer Schiffe auf der Elbe, von denen er auch maßgeblich profitierte. Er missachtete mehrfache dahingehende päpstliche Anweisungen, was 1371 schließlich zu einem Rechtsstreit vor Papst Gregor XI. in Avignon führte, der für den Hamburger Stadtrat 1387 schließlich erfolgreich ausging.2) All diese Bedrohungen veranlassten die verbündeten Hansestädte mehrfach, bewaffnete Vredekoggen zum Schutz und zur Sicherung der Handelswege auszurüsten.3)
Wie in vielen anderen Städten des Reiches wurden die Stadtwache und -verteidigung in Hamburg nicht von einer stehenden städtischen Armee besorgt, vielmehr war jeder Einwohner mit Hamburgischem Bürgerrecht zu diesen Diensten verpflichtet. Im 14. Jahrhundert wurden diese Dienste über die Ämter, Genossenschaften und Gilden organisiert. Alle wehrhaften Bürger mussten dazu auf eigene Rechnung eine ihrem Amt und Stand entsprechende Bewaffnung bereithalten. Diese durfte weder verliehen noch verpfändet werden und musste jederzeit einsatzbereit gehalten werden. Kam ein Bürger dieser Pflicht nicht nach wurde er mit einer Geldstrafe belegt und die Stadt beschaffte ihm die vorgeschriebene Ausrüstung auf seine Kosten.4) Übrigens wurde dieser Umstand beispielsweise auch vom Rat der Stadt Lüneburg genau so gehandhabt.5) Bürger, die sich keine aufwändigen Waffen leisten konnten, wie Buden- und Kellerbewohner sollen wenigstens eine gute Hand- oder Seitenwaffe bereithalten.4) Dieses von den Ämtern organisierte System führte mit der Zeit zu zahlreichen Beschwerden beim Stadtrat aufgrund von Ungerechtigkeiten der zu stellenden Schützenzahlen, so dass der Rat 1458 die Stadtwache und Verteidigung nach Quartieren und Kirchspielen gliederte. Dabei konnten sich wehrpflichtige Bürger durch die Bereitstellung ausgestatteter Söldner oder durch Schutzgeldzahlungen und Eintrag im Verbittelbuch4) vom persönlichen Wehrdienst befreien lassen.6)7) Den Oberbefehl über die Stadtwache, Heerscharen und Vredekoggen führten meist angesehene Ratsmitglieder.7) Am 7. Dezember 1576 unterteilte der Stadtrat schließlich die Wallabschnitte in drei Einheiten mit eigenen Musterungsplätzen.8) Ganz ähnlich wurde die Stadtwache auch in Bremen entsprechend der vier Kirchspiele organisiert die erst 1605 in Kompanien umstrukturiert wurden.9) Häufig boten auch die Wachen selbst Anlass zum Ärger, so streiften sie nachts, nach Dienstende wiederholt betrunken durch die Stadt, feuerten dabei ihre Büchsen ab was schlafende Anwohner belästigte, worauf der Stadtrat dies den Wachen mehrfach 1666, 1667 und 1676, bei Strafe verbieten musste.10)
Die Stadt selbst war mit einer mächtigen Stadtmauer mit Türmen und Toren gesichert, die laufend an die neuen Erfordernisse der Kriegstechnik angepasst wurden. Zur Abwehr feindlicher Überfälle konnten in der Stadt zahlreiche Straßen mit schweren Eisenketten abgesperrt werden. Diese waren in etwa einem Meter Höhe an einer Hauswand angeschlagen und wurden im Bedarfsfall von dazu verpflichteten Bürgern über die Straße gespannt und an der gegenüberliegenden Hauswand angeschlossen. Die für die Stadt lebenswichtigen Hafenanlagen an der Elbe konnten durch schwimmende Barrieren aus Baumstämmen gegen feindliche Schiffe abgeriegelt werden. Später wurden auf der aufgestauten Alster Pfahlsperren zum Schutz vor Überfällen errichtet.11)
Erste urkundliche Hinweise auf Feuerwaffen in der Stadtverteidigung stammen aus dem 14. Jahrhundert. Zunächst wurden diese neuartigen Waffen von auswärts eingekauft: 1372 twe donrebussen (zwei Donnerbüchsen) und 1373 twe kopperne bussen (zwei kupferne oder bronzene Büchsen).12) 1379 kaufte die Stadt eine große Steinbüchse in Lübeck und importierte 1384 zwei weitere Büchsen aus Flandern.12) Seit 1381 unterhielt der Stadtrat eigens einen angestellten Büchsenmeister zur Beaufsichtigung, Bewachung und Pflege der Büchsen und Feuergeschosse. 1435 wurden dazu vier, ab 1440 drei und ab 1461 zwei Schützen berufen. Die Schützen, die ebenfalls Büchsen herstellten, mussten dafür einen Meisterbrief vorweisen.6) Bisweilen wurde Fachpersonal auch von Auswärts angeworben wie 1379/1380 der Büchsenmeister Huusmann aus Lübeck.14)
Schließlich ließ die Stadt im Jahre 1470 die ersten größeren Geschütze von einem Hamburger Gelbgießer anfertigen.13)
Eine durchgreifende Modernisierung des Waffenarsenals lässt sich für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts fassen. In den Thomae-Burspraken der Jahre 146415) und 148616) wurden alle erbgesessenen Bürger, Rentner und Kaufleute sowie junge Brauer ohne eigenes Erbe und selbständige Handwerker verpflichtet, sich bei der vorgeschriebenen Wehrbereitschaft anstelle einer Armbrust mit einer Handbüchse samt zugehörigem Pulver und Blei ausrüsten.7)13) Die nächste Erneuerung der Feuerwaffen wird in der Thomae-Bursprake 1550 angeordnet, wonach die alten hakenbussen aus den Pflichtbeständen der Brauhäuser in die jetzt gebräuchlicheren helen haken (Halben Haken) umgegossen werden sollen.17) Zur Übung der Schützen an Feuerwaffen wurden vor den Stadttoren regelmäßige Schießübungen, sowie Vogelschießen, also frühe Schützenfeste, abgehalten. Bei archäologischen Ausgrabungen des Archäologischen Museums Hamburg am Kaufhauskanal in Hamburg-Harburg wurde im Juni 2013, in einer Brandschicht des 16. Jahrhunderts, das Stück eines Flügels aus Messing entdeckt, der möglicherweise einem Schützenvogel gehörte.17) Am 10. August 1560 fand erstmals ein Scheibenschießen mit Kanonen vom Spitalertor in Richtung Alster statt.18)
Seit 1425 ist der Betrieb einer städtischen Pulvermühle in Hamburg durch Schriftquellen nachgewiesen,13) und der Stadtrat verpflichtete seine wehrhaften Bürger einen ausreichenden Vorrat an Schießpulver und Blei vorzuhalten.19) Der Rat erließ verschiedene Anordnungen zur Lagerung von Schießpulver, bis schließlich 1594 alle Bürger es zentral im städtischen Pulverhaus im Eichholz einlagern mussten.20)
Um 1476 ließ die Stadt in der Niedernstraße endlich ein städtisches Büchsenhaus einrichten. In diesem stellten städtisch angestellte Geschützmeister Geschütze und Steinkugeln, später auch Hakenbüchsen und Bleikugeln für die städtische Verteidigung her. Das erste 1477 von Laurens Grave dort fertiggestellte Geschütz hatte ein Gewicht von 241 Pfund und erhielt den Namen „slange”.13) Als weitere Geschütznamen sind aus Hamburg „apostol”12), „salvator”12), „tumeler”13), „vogeler”12) und möglicherweise auch „scharpemetze”9) überliefert. Kleinere Büchsen für die privat zu stellende Ausrüstung der Stadtverteidigung mussten jedoch weiterhin von lokalen Schmieden und Bronzegießern hergestellt oder importiert werden.13)
Die Bürgerwaffen und -rüstungen müssen sehr lange im Gebrauch gewesen sein, da sich der ehrbare Rat in der Thomae-Bursprake vom 21. Dezember 155021) genötigt sah, an die Ehre seiner Bürger zu appellieren und sie anzuhalten:
„Dewile averst de were na verlope der jare, wo men vor ogen sut, in veranderunge und ungebruke gekamen und et mit dem harnesche to dusser tidt eine vele andere gestalt heft dan in vortiden, so wil sich geboeren und van noeden sin, dat dejennigen, welliche de olden schwaren iseren hoede und darto gelikformigen olden ungebruklichen harnesch hebben, bi tiden to orem live einen guden rugge und krevet, ermeschenen und hoevetharnesch schaffen, ok sust oren harnesch ferdich und to mate maken laten, dat se, wanner men in deme harnesche naber bi naber up de welle gan edder susts tor were kamen und herschouwinge don mot, darmede vor mennere van frombden und frunden unbeschimpet bestaen und gan moege!”21)
(Etwa: Da die Waffen im Verlauf der Jahre Veränderungen erfahren haben und aus dem Gebrauch gekommen sind und die Harnische dieser Zeit von sehr anderer Gestalt sind als in früheren Zeiten, so gehört sich und ist notwendig, dass diejenigen welche noch die alten schweren eisernen Hüte und die dazugehörigen alten ungebräuchlichen Harnische besäßen, sich bei Zeiten einen guten Rügge, Krevet, Armschienen und Hauptharnisch anschaffen sollten oder ihren Harnisch zu ihrem Leibe passend machen lassen, damit sie, wenn sie nebeneinander im Harnisch auf dem Walle stehen oder vor das Tor zur Heerschau gehen vor Fremden und Freunden unbeschimpft bestehen können!)
Einzelnachweise
- Reetz (1969)
- Schrader (1908)
- Jörgen Bracker: Von Seeraub und Kaperfahrt im 14. Jahrhundert. S. 6-35. In: Bracker (2001)
- Bolland (1960)
- Schmidtchen (1985): S. 296
- Gaedechens (1889): S. 422-424, 527-533
- Gaedechens (1872): S. 1-8
- Zimmermann (1820): S. 491-492
- Kohl (1871): S. 83–87
- Sammlung der von E[inem] Hochedlen Rathe der Stadt Hamburg, (1763), S. 231, 236, 330.
- Pelc (2003): S.46, 50
- Kämmereirechnungen der Stadt Hamburg: 1350-1400, 1401-1562
- Fiedler (1974): S. 100-122
- Leng (1996): S. 313
- Bolland (1960): 53.9
- Bolland (1960): 83.6
- Bolland (1960): 134.15
- Weiss (2017): Bürgerwehr & Schützengilde. S. 112-115; Archäologisches Museum Hamburg: Tagebuch #Ausgegraben: Neues Grabungsfeld, Neues Glück … – Teil 2, 11 Juni 2013. (offline)
- Bolland (1960): 133,364, 134,16
- Bolland (1960): 146,91k
- Bolland (1960): 134,13
Text: Andreas Franzkowiak
Foto Stadtsiegel: Wolfgang Meinhart, Hamburg, Lizenz: GNU FDL 1.2