Schütze mit Pfeilbüchse. Walter de Milemete, Christ Church Ms 92 Fol. 70v

Pfeilbüchsen gelten nach aktueller Lehrmeinung als Vorläufer der Kanonen in Mitteleuropa, noch bevor Stein- oder Metallkugeln aus Rohren verschossen wurden.

Seit dem frühen 14. Jahrhundert existieren zahlreiche Einträge in Rechnungsbüchern über die Beschaffung von Feuerwaffen, jedoch geben diese keine Auskunft über deren genaue Art, sodass deren Typ heute nicht mehr genauer bestimmbar ist.1) Zwei Abbildungen aus dem Jahre 1326 bei Walter de Milemete zeigen den Einsatz von Feuertöpfen (sog. pot de fer oder auch pot de feu) als Pfeilbüchsen, was die Kenntnis um dieses Funktionsprinzip bei diesem Autoren und deren tatsächlichen Einsatz vermuten lässt.2)3) Auch spätere Handschriften zeigen den Einsatz von Pfeilbüchsen, wie beispielsweise auf zwei Abbildungen in einer kriegstechnischen Bilderhandschrift der Zentralbibliothek Zürich aus der Zeit um 1420–1440, auf denen die Geschütze eine Führungsschiene für den Pfeil aufweisen.4) Pfeilbüchsen sowohl mit als auch ohne solch eine Führungseinrichtung hat Mariano di Jacopo, gen. Taccola, in seinem Werk De ingeneis aus der Zeit um 1440 abgebildet.5) Eine Büchse, die gleich ein ganzes Bündel Pfeile verschießt, ist in dem um 1411 entstandenen Kriegsbuch und Bellifortis der Österreichischen Nationalbibliothek Cod. 3069 zu finden.6) Die auf Seite 79 in Johannes de Fontanas Bellicorum instrumentorum liber cum figuris abgebildete geladene Pfeilbüchse sticht durch ihre trompetenförmige und ornamentierte Laufmündung aus den anderweitig abgebildeten Stücken heraus.7) Interessant ist ebefalls die Abbilung eines pot de fer aus dem Feuerwerkbuch (von 1420) der Royal Armouries, bei dem das Geschütz offensichtlich in einem tischartig aufgeständerten Kasten positioniert.8)

Pfeilbüchse mit einem Treffer, Kriegstechnik, um 1420-1440 - Zentralbibliothek Zürich Ms. Rh. hist. 33B Fol. 125rAls einzig erhaltene Pfeilbüchse wird die Loshult-Büchse des Staatlichen historischen Museums in Stockholm (Schweden) interpretiert, die formentechnisch - mit Ausnahme der Ausgestaltung der Mündung - gut mit den Abbildungen bei Walter de Milemete übereinstimmt. Darüber hinaus existieren einige indirekte, schriftliche Nachweise auf Pfeilbüchsen, wie aus den französischen Städten Laon von 1356 und Dijon von 1358/1359, die mehrere hundert Büchsenpfeile orderten, oder dem italienischen Bologna aus dem Jahre 1381, wo in einem dortigen Zeughausinventar „274 muschitas impennatos de carta″, also Musketenbolzen, befiedert mit Pergament/Papier, aufgeführt werden.1) Der Ausdruck „muschitas″ (span. für Musketen) deutet auf Handbüchsen hin, also in der Hand zu führende Büchsen, möglicherweise ähnlich der auf Folio 86r in dem um 1450 in Süddeutschland entstandenen Feuerwerkbuch der Royal Armouries in Leeds abgebildeten. Hier wird eine Gruppe gerüsteter Belagerer vor einer befestigten Stadt widergegeben, von denen einige mit Armbrüsten Brandpfeile auf die Stadt schießen. Im Hintergrund der selben Gruppe reckt ein Mann ein mit einem Brandpfeil geladenes Handrohr in die Höhe.2)

Zwei Pfeilbüchsen in Taccola: De ingeneis II, um 1440, BSB München Clm. 197, Fol. 50rWeitere indirekte Nachweise auf Pfeilbüchsen stammen von der Burg Eltz in der Gemeinde Wierschem, Rheinland-Pfalz, wo mehrere Büchsenpfeile erhalten sind. Diese Büchsenpfeile korrespondieren mit ihren Zaindurchmessern und -längen sehr gut mit den technischen Daten der Loshult-Büchse.9) Die Hölzer zweier Pfeile konnten mittels 14C-AMS Analyse in das späte 12. und frühe 15. Jahrhundert datiert werden.10) Historische Kriegstechniker haben sich scheinbar noch lange mit der Technik des Pfeilschießens beschäftigt, wie eine Zeichnung des Monogrammisten MS aus dem Jahre 1597 vermuten lässt. Dieser hat in einem unbekannten Werk auf einer lose erhaltenen Buchseite eine sechsläufige Orgelbüchse und auf der Rückseite eine Muskete zum Verschießen von Pfeilen dargestellt.11) Aber auch heute noch sind Pfeile als Projektile (sog. Flechets) hocheffektiv, beispielsweise als panzerbrechende Munition von Panzerfäusten oder Haubitzen.

Zur praktischen Beurteilung historisch überlieferter Schwarzpulverrezepte führte die Medieval Gunpowder Research Group am Middelaldercentret Nykøbing, Dänemark in Kooperation mit der Dänischen Armee, zahlreiche Schussversuche mit rekonstruierten Loshult-Büchsen durch, wobei Büchsenpfeile, Bleikugeln und Kartätschen erfolgreich verschossen wurden. Die Mündungsgeschwindigkeiten, Flugbahnen und Schussweiten der Geschosse wurden mit einem Radar auf dem Versuchsgelände Oksbøl der Dänischen Armee ermittelt. Als Treibladungen dienten Pulvermischungen nach verschiedenen historischen Rezepten und in verschiedenen Granulaturen, wobei die Bleikugeln mit Ladungen von 50 g und die Büchsenpfeile mit Ladungen von 20 g und 50 g zum Einsatz kamen. Die erzielten Schussweiten lagen bei den Büchsenpfeilen bei bis zu 360 m und bei Bleikugeln bei mehr als 1.370 m.12)13) Die Wirkungstreffer lagen bei Bleikugeln und hölzernen Büchsenpfeilen im Bereich bis 300 m, bei eisernen Schrapnellen bis 50 m und bei Flint-Schrapnellen bis 30 m.14) Die in den Experimenten erzielten Schussweiten, Trefferbilder und -wirkungen bestätigten, dass geübte Büchsenmeister Büchsen dieses Typs, bei Verwendung sorfältig hergestellten Pulvers, mit allen Munitionsarten wie Büchsenpfeilen, Bleikugeln und -klötzen taktisch hoch effektiv einsetzen konnten.15) Lediglich vollständig aus Eisen gefertigte Pfeile erwiesen sich als unpraktikabel. Der Vergleich der Abnutzungsmarken der Läufe der Loshult-Büchse und der für die Schussversuche nachgebauten Büchse spricht für eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass aus dem Original auch Schrapnellgeschosse verschossen wurden.14)

Pfeile verschießende Luntenschlossmuskete, Monogrammist MS, um 1597, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Zeichnung H62/B 1099Aus Hamburgischen Quellen sind diesbezüglich leider keine eindeutigen Nachweise bekannt, allerdings stellt Wilfried Tittmann in seinem 1995 veröffentlichten Artikel über Die Eltzer Fehde von 1331/3 die uns sehr sympathische Theorie auf, dass Pfeilbüchsen besonders im Hanseraum weit verbreitet waren. Diese Theorie stützt er unter anderem auf schriftliche Erwähnungen eines Büchsenschützen (-meisters) in der Hansestadt Soest aus den Jahren 1330 und 1331, und die Tatsache, dass das Erz der Loshult-Büchse aus ungarischen Lagerstätten stammte, wohin hansische Kaufleute enge Wirtschaftsbeziehungen pflegten. Weiterhin weist er darauf hin, dass vier der fünf Eltzer Büchsenpfeile auf Grund ihrer Größe und Ausformung genau in den Lauf der Loshult-Büchse passen würden. Daraus vermutet Tittmann, dass Pfeilbüchsen und Büchsenpfeile eines standardisierten Kalibers ein verbreitetes Handelsgut hansischer Kaufleute gewesen sein könnten.9)

 

Loshult-Büchse

Loshult-Büchse des Staatlichen historischen Museums Stockholm. Foto: Gunnel Jansson SHM 1995-03-19 (Lizenz CC BY 2.5 SE)Die Loshult-Büchse des Statens historiska museet in Stockholm, Schweden, Inv. Nr. SHM 289117), ist das einzige bekannte und erhaltene Original einer bronzenen Pfeilbüchse aus dem späten Mittelalter. Das Museum erwarb die Büchse 1861 für 25,– Kronen von Nils Svensson, der das Stück beim Graben auf seinem Pachtgrund in der Gemeinde Loshult, Provinz Skåne län, gefunden hatte. Genauere Informationen zum archäologischen Befund sind nicht überliefert. Das Rohr ist flaschenförmig und im Bronzegussverfahren hergestellt. Feilspuren auf der Oberfläche stammen vermutlich vom Zurichten nach dem Guss. Die Mündungsverstärkung weist eine eingeschlagene oder gefeilte Kimme auf, die entlang der Seelenachse auf der direkten Flucht des Zündloches liegt. Das Zündloch selbst hat keine ausgearbeitete Pfanne. Der Stoßboden ist relativ flach gehalten und weist einige Eindruckstellen auf. Das Kaliber der Büchse beträgt 31 mm, wobei der Flug zur Mündung hin auf 36 mm konisch aufgeweitet ist. Die Kammer ist ebenfalls sackförmig erweitert mit einem Durchmesser von 36 mm an der weitesten Stelle. Die Aufweitung des Fluges zur Mündung dient dem besseren Verdämmen der Pfeile im Lauf.17) Aufgrund des konisch ausgearbeiteten Laufes und der auffallenden Ähnlichkeiten mit den Büchsen in den Handschriften Walter de Milemetes kann die Loshult-Büchse mit großer Sicherheit als Pfeilbüchse angesprochen werden.

Die spektralanalytische Untersuchung einer Probe des Rohres in den 1940er Jahren ergab als Hauptbestandteile der Legierung Kupfer und Zinn, daneben wurden 3 % Blei, 2 % Antimon, 0,1 % Silber, 0,5 % Arsen sowie Spuren von Kobalt, Wismut, Nickel und Eisen nachgewiesen. Der relativ hohe Antimongehalt der Legierung deutet darauf hin, dass das Kupfer aus böhmischen oder siebenbürgener Erzlagerstätten im heutigen Ungarn stammte. Die Zusammensetzung der Legierung mit Beimengungen verschiedenster Metalle spricht für ein entsprechend hohes Alter der Büchse deutlich vor dem 17. Jahrhundert. Ein Versuch einer radiologischen Durchleuchtung des Stückes zur Darstellung des Laufes in den 1940er Jahren scheiterte aus technischen Gründen.17)

Technische Daten17)

Gesamtlänge: 300 mm
Durchmesser: hinten 110 mm, an der Mündung 70 mm
Länge des Laufes: 270 mm
- davon Seele: ca. 205 mm
- davon Kammer: ca. 65 mm
Kaliber: vor der Kammer bis 100 mm hinter der Mündung 31 mm, an der Mündung auf 36 mm
Kammerdurchmesser: 36 mm
Gewicht: 9.050 g

 

Rekonstruktionsversuch

Rekonstruktionsversuch der Loshult-Büchse im RohbauDer Rekonstruktionsversuch unserer Pfeilbüchse orientiert sich an der sogenannten Loshult-Büchse aus dem Statens historiska museet Stockholm und den 1944 von Jakobsson17) vorgelegten Maßen. Aufgrund der zur Verfügung stehenden fertigungstechnischen Möglichkeiten und aus sicherheitstechnischen Überlegungen haben wir einige Maße leicht verändert. Als Ausgangsmaterial diente eine Bronzestange, die auf einer Drehbank auf die grobe Form ab- und ausgedreht wurde. Die anschließende Weiterbearbeitung erfolgte durch Abfeilen, Hämmern und Schleifen.

Über die genaue Art der Lafettierung diskutieren wir noch. Die bei Walter de Milemete abgebildeten Tischlafetten erscheinen uns wenig realistisch und im Einsatz aufgrund fehlender Richtmöglichkeiten als impraktikabel. Weitere Optionen zu Lafettenarten liefern jedoch einige historische Büchsenmeister- und Feuerwerkbücher.4)5)6)7)8)

Loshult-Rekonstruktion auf der Lade montiertTechnische Daten (Rohbau)

Gesamtlänge: 330 mm
Durchmesser hinten 120 mm, an der Mündung 80 mm
Seelenlänge: 268 mm
Kaliber: vor der Kammer bis 100 mm hinter der Mündung 32 mm, an der Mündung 36 mm
Kammerdurchmesser: 36 mm
Gewicht: 16.000 g

 

Einzelnachweise

  1. Tittmann (1994)
  2. Walter de Milemete (1326): Bodleyan Library, Christ Church MS. 92: Fol. 70v
  3. Walter de Milemete (1326): Birtish Library, Add MS 47680: Fol. 44v
  4. Kriegstechnische Bilderhandschrift. (1420-1440), Zentralbibliothek Zürich Ms. Rh. hist. 33b: Fol. 61r, 125r
  5. Taccola (1433-1449): De ingeneis II. Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 197: mit Führungsschine Fol. 50r, 70r; ohne Führungsschine Fol. 50r, 51r
  6. Kriegsbuch und Bellifortis (1411). Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 3069: Fol. 40v
  7. Fontana (1420-1430): Bellicorum instrumentorum liber cum figuris. Bayerische Staatsbibliothek München, Cod. icon. 242: S. 79
  8. Feuerwerkbuch [von 1420]. (1450), Royal Armouries Leeds, Inv. No. Ms. I-34, Fol. 86r
  9. Tittmann (1995)
  10. Tittmann (2011)
  11. MS, Monogrammist (1597)
  12. Medieval Gunpowder Research Group (2002)
  13. Medieval Gunpowder Research Group (2003)
  14. Hansen (2001) S. 22-25
  15. >Smith (2010) S. 115−118
  16. Datenbankeintrag Statens historiska museet Stockholm Föremål 114743. SHM 2891
  17. Jakobsson (1943/44) übereinstimmend mit Hansen (2001) S. 11

 

Text: Andreas Franzkowiak,
Foto Pfeilbüchse auf Lade: Peter Larsen