Martin le Fanc: Champion des Dames, Flandern 1442

Den Begriff Feuerwaffe definierte Siegfried Julius von Romocki 1895 treffend mit: … ein Rohr, aus welchem durch Explosivkraft Geschosse geworfen werden …1)

In Mitteleuropa traten erste Hinweise auf Feuerwaffen und Handbüchsen in den 1330er Jahren auf und schon nach kurzer Zeit veränderten sie sehr nachhaltig die taktische und tschnische Art der Kriegsführung. Und höchstwarhschienlich waren sie auch maßgeblich für das Ende der klassischen Ritterschaft mit verantwortlich.

Der gegenwärtig früheste schriftliche Nachweis stammen aus dem Jahr 1326, wo die Sadt Venedig am 11. Februar eiserne Kugeln und Rohre für die Stadtverteidigung orderte.2) Ein weiterer Nachweis stammt ebenfalls aus Italien als die Stadt Perugia 1364 etwa 500 Handbüchsen beschaffte. Seitdem verdichten sich schriftliche Aufzeichnungen über deren Anschaffung und Verwendung in immer kürzerer Folge. Frühe Hinweise aus Deutschland gibt es aus Augsburg von 13723) und Nürnberg von 1388.4)

Feuerwaffen wurden zunächst von Schmieden und Rotgießern angefertigt, die bereits Erfahrungen mit den Werkstoffen hatten. Die Büchsenschäfte wurden von Schreinern und später von spezialisierten Büchsenschäftern hergestellt. Die sich rasch weiter entwickelnden technischen Kenntnisse und Fertigungsmethoden führten zu einer weiteren Spezialisierung dieser Berufsgruppen. Je nach Bestimmungen und Handwerksordnungen der einzelnen Städte zählten Büchsenschmiede und -schäfter zu den freien Künsten, die erst später zünftig organisiert wurden. Beispielsweise konnten Nürnberger Waffenhersteller erst im Laufe des 16. Jahrhundert eigene Zünfte gründen.5) In Hamburg stellten Waffenschmiede im 1476 eingerichteten städtischen Büchsenhaus Kanonen und Munition her, jedoch haben wir bislang über weitere Waffenschmiede aus dem 15. Und 16. Jahrhundert keine sicheren Nachweise.6)

Die ersten Erwähnungen von Feuerwaffen aus Hamburg entstammen den Kämmereirechnungen der Jahre 1372, als der Stadtrat „12½ ℔ 8 ß for twe donrebussen” und 1373 „8 ℔ 8 ß vor twe kopperne bussen” aufwandte, ohne jedoch zu vermerken, ob es sich um Handfeuerwaffen oder Geschütze handelte.7) Die geringen Stückzahlen, die Höhe der aufgewendeten Gelder sowie die weiten Beschaffungswege sprechen aber für größere Geschütze.8) Ein Jahr später, im Jahr 1374, gab der Stadtrat „24 ß Kusvelde vor bussen” und „Craneken 3 ℳ vor pyle to bussenschote” aus.9) Handbüchsen werden dagegen in Hamburger Dokumenten erstmals ausdrücklich in der Thomae-Apostoli Bursprake des Jahres 1486 und der Petri Bursprake des Folgejahres 1487 genannt. Darin ordnete der Stadtrat an, dass „… junge Brauer mit eigenem Erbe sowie Amtleute mit ?????? … zumindest … eine Handbüchse samt Gerätschaften / Zubehör dazu … [haben sollen]”.10)

„De jungen bruwere, de nene egen erue hebben, vnnde eyn iewelik amptman, de sines sulues is, schal to dem(e) mynsten yo heb ben schilt, hod, armborst vnnde eyn (eyene)halffhundert verdiges schotes effte ene handbussen myt resschup dar to horende edder alßo bauen geschreuen is." 10)

Aus Hamburg selbst sind keine und aus dem übrigen Norddeutschland nur wenige Handfeuerwaffen aus dieser Zeit erhalten, aus diesem Grund müssen wir auf zeitlich passende Büchsen aus anderen Regionen ausweichen.

 

Stangenbüchse „Agnes

Tabor-Büchse im Husitské Muzeum Tabor (Foto: Alexander Spiridonov)

Bei unserer Handbüchse handelt es sich um eine Rekonstruktion, die an die sogenannte Tabor-Büchse angelehnt wurde. Die Tabor-Büchse wurde 1892 bei Bauarbeiten am Ringplatz in der südböhmischen Stadt Tabor (Tschechische Republik) gefunden und wird heute im dortigen Husitské Muzeum aufbewahrt. Bei dem Stück handelt sich um eine schmiedeeiserne Stangebüchse mit einem Gewicht von ca. 2.900 g und einer Gesamtlänge von 420 mm. Die Länge der Seele beträgt 250 mm bei einem Kaliber von 20 mm an der Mündung. Der hölzerne Schaft war nicht mehr erhalten.11)

Tabor-Büchse Agnes

Unsere Büchsenrekonstruktion hat eine Rohrlänge von 410 mm und eine Seelenlänge von 270 mm bei einem Kaliber von 18 mm. Die Gesamtlänge der Büchse beträgt 192 cm mit dem Stiel aus Eichenholz. Das Gesamtgewicht beträgt 2.200 g. Im Gegensatz zum historischen Original besitzt unsere Büchse eine trichterförmige Mündung. Die Büchse ist als Böller mit einer höchstzulässigen Gebrauchsladung von 20 g Böllerpulver beschossen. Wir haben sie aufgrund ihres Fundortes Tabor nach der Schutzheiligen Böhmens, der Klostergründerin und Prinzessin Agnes von Böhmen (1211-1282), benannt.

 

Stabringbüchse mit Balkenschaft

Hierbei handelt es sich um ein frei interpretiertes Modell einer kleinen Hakenbüchse mit Stabringlauf aus Eisen und einem schlanken Balkenschaft. Der Haken ist am unteren Büchsenlauf angeschweißt und ragt durch eine Öffnung des Schaftes heraus.

Stabringbüchse mit Balkenschaft

Das Büchsenmodell hat eine Rohrlänge von 300 mm und eine Seelenlänge von 285 mm bei einem Kaliber von 18 mm, und eine Gebrauchsladung von 20 g. Die Gesamtlänge der Büchse beträgt 118 cm mit dem Balkenschaft aus Eschenholz. Sie hat ein Gewicht von 2.800 g.

 

Hakenbüchse

Hakenbüchse nach Vorbildern aus verschiedenen Zeughäusern aus Maximilianischer Zeit, ähnlich der Hakenbüchse MZ13 aus Pilsen12), oder Originalen auf der Veste Oberhaus oder der Veste Lüdinghausen.

Hakenbüchse

Die Büchse hat einen Eisenlauf mit angeschweißtem Haken und Tülle mit einem Eichenholzschaft. Das Zündloch befindet sich rechts oben am Lauf. Die Büchse hat eine Rohrlänge von 640 mm und eine Seelenlänge von 475 mm bei einem Kaliber von 25 mm. Die Gesamtlänge der Büchse beträgt 134 cm bei einem Gesamtgewicht von 5.700 g. Die Büchse ist mit 40 g Böllerpulver mit einer Vorlage von 15 g als Böller beschossen.

 

Taktischer Nutzen

"Aeltere Handtpüchsen" Ulrich Beßnitzer: Landhuter Zeughausinventar Steite 42r, Landshut 1475Die großen taktische Vorteile der frühen Feuerwaffen lagen zunächst in ihrer psychologischen Wirkung auf die Gegner. Die größten Nachteile liegen in ihrer anfänglich geringen Präzision und der relativ geringen Schussfrequez gegenüber Bogen und Armbrust. Jedoch bestätigten Schussversuche mit nachgebauten Büchsen, daß sie eine beachtliche Durchschlagskraft entwickeln und geübte Schützen akteptable Treffergenauigkeiten erzielen konnten. Ihre mangelnde Präzision konnte durch die historische Kampfweise relativiert werden, wo vorwiegend auf Massenziele, größere und dicht aufgestellte Heerhaufen, geschossen wurde, was die Trefferwahrscheinlichkeit der einzelnen Schüsse deutlich erhöhte.11) Zahlreiche Autoren führen die geringeren Herstellungskosten von Feuerwaffen gegenüber denen von Armbrüsten und eine einfachere Ausbildung der Büchsenschützen im Vergleich zu Bogen- und Armbustschützen an. Die rasch voranschreitende Verbreitung dieses neuen Waffensystems lässt darauf schließen, dass dessen taktische Vorteile deutlich höher bewertet wurden als seine Nachteile.13)

 

Einzelnachweise

  1. Sixl (1897/89): Bd. 1, Heft 5, S. 15 (zitiert S. J. v. Romoczki: Geschichte der Sprengstoffchemie)
  2. Davis (1941): S. 39
  3. Kramer (1995): S. 92
  4. Boeheim (1890): S. 445
  5. Willers (1973): S. 71-111
  6. Fiedler (1974): S. 100-122
  7. Kämmereirechnungen der Stadt Hamburg: 1350-1400, S. 18318
  8. Fiedler (1974): S. 100-101
  9. Kämmereirechnungen der Stadt Hamburg: 1350-1400, S. 20230
  10. Bolland (1960): 83.6 und 84.25
  11. Sixl (1897/89): Bd. 2, S. 413-417
  12. Frýda (1988)
  13. Wlassaty (1977)

Währungssymbole: ℔ talentum (Pfund) / ℳ marka (Mark) / ß solidus (Schilling)

Text und Fotos: Andreas Franzkowiak