Zeitgenössische Dokumente des 15. und frühen 16. Jahrhunderts liefern eine Fülle von Abbildungen, wie historische Büchsenschützen ihre Waffen anlegten und mit ihnen schossen.
Zudem hinterließen einige Büchsenmeister mit ihren Büchern mehr oder weniger detaillierte Anweisungen zur Handhabung von Feuerwaffen. Alle diese Dokumente zusammengenommen ermöglichen es relativ sicher, die Handhabung historischer Feuerwaffen zu Rekonstruieren. Nachfolgend stellen wir einige häufig wiedergegebene Anschlagarten mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Die historischen Bilddokumente, ebenso wie einige erhaltene Waffen1) zeigen, dass es unter den historischen Schützen sowohl Rechts- als auch Linksschützen gab. Alle Anschlagarten werden hier beispielhaft für Rechtsschützen beschrieben und der Anschlag für Linksschützen ist entsprechend spiegelbildlich umzusetzen. Allerdings ist auch bei bester Quellenlage eine gewisse Vorsicht bei der Auswertung der historischen Bild- und Textdokumente geboten und eine quellenkritische Herangehensweise bei der Interpretation angebracht.
Freistehende Anschlagarten
Auf der Schulter
Diese Anschlagart geben historische Abbildungen am häufigsten wieder. Dabei ist der Büchsenschaft auf der rechten Schulter aufgelegt, der rechte Arm ist stärker angewinkelt und hält den Schaft kurz vor der Schulter, der linke Arm führt die Büchse weiter vorne am Rohr. Das Anvisieren erfolgt mit dem rechten Auge über den Büchsenlauf und die Zündung erfolgt durch einen zweiten Mann. Zu dieser Anschlagart passt die Schießanleitung aus einem Feuerwerkbuch der Österreichischen Nationalbibliothek Wien von 1457:
"… lass die Büchs anzünden und wenn du empfindest, dass sie hinter sich stösst, so widerheb nicht zu stark, doch halt den Stab in der vordern Hand fest und damit lass die vordere Hand, also den Stab darinnen haltend, gegen die hintere Hand gehen und lass den Stab durch die hintere Hand hinter sich ausschliefen." 2)
Diese Anschlagart ermöglicht das eben beschriebene einfache Zurückgleiten der Büchsenstange auf der Schulter bei stärkerem Rückstoß.
- Vorteile: Sicherer, kontrollierbarer Halt der Büchse, sehr gutes Zielen über den Büchsenlauf. Schüsse mit rückstoßstärkeren Ladungen möglich.
- Nachteile: Zweiter Mann zum Zünden der Büchse notwendig.
- Anwendung: Direkte Präzisionsschüsse, auch über weitere Distanzen.
- Anmerkungen: Diese Anschlagart ermöglicht ein ruhiges und sicheres Halten und Zielen der Büchse. Es sind Schüsse mit höherer Ladung und größerem Rückstoß möglich. Das Zünden der Büchse mit der rechten Hand ist umständlich, aber ebenfalls möglich. Diese Anschlagart entspricht in etwa dem freihändig stehenden Schießen moderner Gewehrschützen, mit dem Unterschied, dass der Büchsenschaft statt an der Schulter eingezogen, auf der Schulter aufliegt. Diese Art des Anschlags musste sich so gut bewährt haben, dass sie noch bis zum Ende des 16. Jahrhunderts angewandt wurde.3)
Abbildungen: Links: Kriegstechnische Bilderhandschrift, Zentralbibliothek Zürich Ms Rh hist 33b, Fol. 044r. Rechts: Die Belagerung von Neus. Konrad Pfettisheim: Geschichte Peter Hagenbachs und der Burgunderkrieg. Straßburg 1477.
Auf der Schulter über den gleichen Arm
Diese Anschlagart findet sich nur sehr selten in historischen Quellen. Nebenstehend ist die Abbildung eines Linksschützen. Beim Rechtsschützen wird der Schaft auf der rechten Schulter aufgelegt und die Büchse wird mit der rechten Hand gehalten. Das Visieren erfolgt mit dem rechten Auge über den Büchsenlauf und die Zündung erfolgt mit der linken Hand.
- Vorteile: Bedienung durch einen einzelnen Mann möglich, gutes Zielen über den Büchsenlauf.
- Nachteile: Unsicherer und relativ unruhiger Halt der Büchse, Schüsse nur mit rückstoßschwachen Büchsen und Ladungen.
- Anwendung: Präzisionsschüsse auf kürzere bis mittlere Distanzen oder Situationen im Feld wo ein zweiter Mann zum Zünden nicht verfügbar ist.
- Anmerkungen: Die Büchse liegt lediglich auf der Schulter auf und muss an einem relativ langen Arm gehalten werden. Aufgrund des unsichereren und wackeligen Anschlags sind lediglich Schüsse mit rückstoßschwacher Ladung möglich. Der größte und bisher einzig erkennbare Vorteil ist die Bedienung durch einen einzelnen Mann, auch wenn die Aufmerksamkeit des Schützen beim Zünden kurzzeitig vom Ziel ablenkt ist. Aufgrund der kinetischen Bewegunsabläufe während der Schussabgabe ist die oben ewähnten Schießanleitung von 1457 bei dieser Anschlagart nicht anwendbar.
Abbildungen: Links: Stundenbuch der Maria von Burgund um 1470 fol. 47v. Rechts: Die Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer 1099. Aegidius van Roya: Compendium historiae universalis. Niederlande um 1450-1460. Den Haag, MMW 10 A 21, Fol. 178r.
Unter der Achsel
Diese Anschlagart erinnert an den modernen Hüftanschlag beim Pirschanschlag oder Deutschschießen4). Auf historischen Abbildungen ist dieser Anschlag häufig zu finden. Der Büchsenschaft ist unter der rechten Achsel oder auch etwas tiefer zwischen dem rechten Oberarm und dem Rumpf eingeklemmt, die rechte Hand hält den Büchsenschaft etwas weiter vorne. Die Büchse wird mit der linken Hand vorne geführt. Visieren erfolgt intuitiv. Die Zündung wird durch den Schützen selbst oder durch einen zweiten Mann ausgelöst.
- Vorteile: Sicherer und ruhiger Halt der Büchse, die Zündung ist durch den Schützen selbst möglich.
- Nachteile: Das Zielen ist nicht direkt, sondern nur intuitiv möglich.
- Anwendung: Direkte oder ballistische Schüsse auf dicht stehende gegnerische Heerhaufen, direkte oder ballistische Schüsse auf höher gelegene Ziele.
- Anmerkungen: Der größte Nachteil ist das intuitive Visieren, was Präzisionsschüsse erschwert, dieser relativiert sich jedoch bei Schüssen auf größere und dicht stehende Heerhaufen. Bei beidhändigem Halten der Büchse sind Schüsse mit rückstoßstärkeren Ladungen möglich. Das Zünden ist je nach Büchsentyp durch den Schützen selbst über einen Luntenstab möglich.
Abbildungen: Links: Rudimentum Noviciorum. Um 1475. Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar Inc 47, Seite 573. Rechts: Quintus Curtius Rufus: Alexanderroman. 1468-1475. British Library Burney 169, fol. 127.
Unter der Achsel über den gleichen Arm
Diese Anschlagart ist auf historischen Abbildungen nur sehr selten überliefert. Der Büchsenschaft wird, wie zuvor beschrieben, zwischen dem rechten Oberarm und dem Rumpf eingeklemmt, der rechte Arm führt dabei die Büchse weiter vorne. Visieren erfolgt intuitiv. Zündung erfolgt durch den Schützen mit der linken Hand oder durch einen zweiten Mann, wobei der Schütze dann mit seiner Linken ebenfalls die Büchse hält.
- Vorteile: Bedienung durch einen einzelnen Mann möglich.
- Nachteile: Das Zielen ist nicht direkt, sondern nur intuitiv möglich. Unsicherer und relativ unruhiger Halt der Büchse, Schüsse nur mit rückstoßschwächeren Büchsen und Ladungen.
- Anwendung: Direkte oder ballistische Schüsse auf dicht stehende gegnerische Heerhaufen, direkte oder ballistische Schüsse auf höher gelegene Ziele.
- Anmerkungen: Der größte Nachteil ist das ungenaue, intuitive Zielen, was Präzisionsschüsse erschwert. Dieser Nachteil wird jedoch bei Schüssen auf Massenziele, also größere und dicht stehende Heerhaufen, relativiert. Insgesamt überzeugt uns diese auf Reenactment- und Living-History-Veranstaltungen häufig verwendete Anschlagart aufgrund ihrer geringen Praxistauglichkeit am wenigsten, da sie sich allenfalls zum dekorativen Böllerschießen eignet.
Abbildung: Mehrschüssige, einläufige Büchse in: [Johannes] Hartlieb: Kriegsbuch; Konrad Kyeser: Bellifortis. Um 1411. Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 3069, S. 97.
Frei stehender Hüftanschlag
Diese Anschlagart findet sich gelegentlich bei Schützen auf historischen Abbildungen die häufig höhergelegene Ziele beklämpfen. Der Schaft wird in der rechten Hand etwa in Hüfthöhe mit Abstand zum Körper gehalten. Die linke Hand führt die Büchse weit vorne am Schaft. Das Anvisieren des Ziels erfolgt intuitiv. Das Zünden der Büchse erfolgt durch einen zweiten Mann.
- Vorteile: Sicherer und ruhiger Halt der Büchse.
- Nachteile: Das Zielen ist nicht direkt, sondern nur intuitiv möglich.
- Anwendung: Direkte oder ballistische Schüsse auf dicht stehende gegnerische Heerhaufen, ballistische Schüsse auf höher gelegene Ziele.
- Anmerkungen: Diese Anschlagart ist in historischen Quellen nur selten zu finden, und dort oft im Zusammenhang mit der Bekämpfung höhergelegener Ziele wie beispielsweise Burgen oder Wehrmauern. Auf Reenactment- und Living-History-Veranstaltungen wird diese Anschlagart jedoch sehr häufig verwendet. Diese Art des Anschlags bietet weder praktische noch taktische Vorteile.
- Beispiel: externer Link
Abbildung: Links: Albertus Picor: Ermordung König Olafs. Fresko Kirche von Kumpla Sala Västmanland, Sweden, um 1482. Rechts: Mehrläufige Büchse in: [Johannes] Hartlieb: Kriegsbuch; Konrad Kyeser: Bellifortis. Um 1411. Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 3069, S. 98.
In der Armbeuge
Mit dem Aufkommen von Hakenbüchsen (Arkebusen) erscheint diese neue Anschlagart in den Bildquellen des späten 15. Jahrhunderts. Dabei wird das breite Schaftende der Hakenbüchse gegen die rechte Armbeuge abgestützt. Die rechte Hand hält die Büchse an der Seite und löst über das Luntenschloss den Schuss aus. Mit der linken Hand wird die Büchse vorne geführt. Das Visieren erfolgt mit dem rechten Auge über den Lauf und gegebenenfalls über Kimme und Korn.
- Vorteile: Sicherer und ruhiger Halt der Büchse, Zündung durch Schützen selbst.
- Nachteile: Anschlag etwas unsicherer als beim echten Schulteranschlag.
- Anwendung: Direkte Präzisionsschüsse oder ballistische Schüsse auf entferntere Ziele.
- Anmerkungen: Diese Anschlagart kann als eine Vorstufe oder Variation zum echten Schulteranschlag angesehen werden, die laut historischen Abbildungen nur wenige Jahrzehnte im 16. Jahrhundert angewandt wurde. Warum diese Art des Anschlags Verwendung fand ist uns bisher rätselhaft.
Abbildungen: Links: Die Schlacht im Walde [bei St. Peter b. Nürnberg am 19.06.1502]. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Gm 579. Rechts: Jan Cornelisz Vermeyen: Tunis-Feldzug Kaiser Karls V. 1546-50, KHM Wien Inv. 2044.
Vor dem Rumpf
Diese Anschalgart ist nur auf wenigen Bidlquellen des 16. Jahrhunderts zu finden. Hier wird das Schaftende der Hakenbüchse entweder gegen den Rumpf abgestützt oder mit kurzem Abstand davor gehalten. Dieser Anschalg ähnelt dem des Deutschschießens, jedoch ohne umgehängten Gewehrriemen3). Die rechte Hand hält die Büchse an der Seite und löst über das Luntenschloss den Schuss aus. Mit der linken Hand wird die Büchse vorne geführt. Das Visieren erfolgt intuitiv.
- Vorteile: Sicherer und ruhiger Halt der Büchse, Zündung durch Schützen selbst.
- Nachteile: Zielen nur intuitiv möglich.
- Anwendung: Direkte Schüsse auf nähere Ziele während des Vorrückens auf den Gegner.
- Anmerkungen: Diese Anschalgart wird nur selten auf Abbildungen des 16. Jahrhunderts gezeigt. Es ist denkbar, dass sie angewandt wurde, wenn eine kurze Schussfolge erwünscht, aber ein genaues Zielen nicht notwendig war.
Abbildungen: Links: Melchior Feselen: Die Schlacht von Alesia. Süddeutsch um 1533, Bayerisches Nationalmuseum. Rechts: Ruprecht Heller: Die Schlacht bei Pavia. Nationalmuseum Stockholm, um 1525.
Schulteranschlag
Gleichzeitig oder kurz nach dem Anschlag in der Armbeuge erschein der freistehende Schulteranschlag, welcher von Schützen noch heute verwendet wird. Hierbei wird das breite Schaftende der Hakenbüchse zwischen Schlüsselbein und Muskelwulst fest an die Schulter eingezogen. Die rechte Hand hält die Büchse an der Seite und löst über den Abzug des Luntenschlosses den Schuss aus. Mit der linken Hand wird die Büchse vorne geführt. Das Visieren erfolgt mit dem rechten Auge über den Lauf und gegebenenfalls über Kimme und Korn.
- Vorteile: Sicherer und ruhiger Halt der Büchse, Zündung durch Schützen selbst.
- Nachteile: Keine nennenswerten.
- Anwendung: Direkte Präzisionsschüsse oder ballistische Schüsse, auch auf entferntere Ziele.
- Anmerkungen: Diese Anschlagart hat sich über die letzten 5 Jahrhunderte als die für den frei stehenden Schützen beste Schusshaltung erwiesen. Auf diese Haltung wurden in den folgenden Jahrhunderten die Schäfte von Arkebusen und Gewehre immer weiter ergonomisch angepasst.
Abbildungen: Links: Diebold Schilling: Amtliche Berner Chronik, Bd. 1. Burgunderbibliothek Bern, Mss hhI 1, Fol 143. Rechts: Chronicon Helvetiae, Teil II. Wettingen, 1572. Aargauer Kantonsbibliothek, MsWettF 16: 2, fol 113r.
Aufgesetzte Anschlagarten
Zu den oben genannten frei stehenden Anschlagarten ergeben sich bei aufgesetzten Anschlägen unzählige Variationsmöglichkeiten, da der Schütze eine Hand, neben der zum Ausrichten der Büchse, frei hat. Der Einsatz von Hakenbüchsen, die zum Auffangen des Rückstoßes an Prellhölzern, Schießscharten oder Mauerbrüstungen eingehängt wurden, ermöglichten die Verwendung großkalibriger und rückstoßstärkerer Büchsen, die frei Hand nicht mehr führbar waren.
Abbildungen: Links: Kriegsmaschienenbuch. Bayern 15./16. Jh. Herzogin Anna Amlia Bibliothek Wolfenbüttel Cod. Guelf. 161 Blank. S. 95. Rechts: Konrad Kyeser: Bellifortis. um 1400-1436. Bibliotheca Apostolica Vaticana Cod. Pal. lat. 1994, Fol. 57v.
Einzelnachweise
- Wie z.B. eine linksseitige Handbüchse mit Luntenschloss des Kunsthistorischen Museums Wien, Inv. Hofjagd- und Rüstkammer, A 65
- Sammelhandschrift: Taktik der Fehde; Feuerwerkbuch (von 1420); Pulverrezepte; Kriegstechnischer Bilderkatlog. Österreichische Nationalbibliothek Wien Cod. 2952, Kap. 38, S. 30
- van der Straet et al (1580): Ill. 22 und 77
- Der Reibert - Das Handbuch für den Soldaten. Mittler, Herford 1982, S. 88-95
- Artikel Anschlag (Waffe) auf der deutschsprachigen Wikipedia
Text: Andreas Franzkowiak